1. Lukanga-Brief
Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins Innerste Deutschlands
Aus Depesche 23+24/2006
Berlin, den 1. Mai 1912
Omukama! Großer und einziger König!
Kaurimuschel : Eigentlich Kaurischnecke. Tropische Meeresschnecke. Einige Arten davon wurden in der Südsee, in Asien und Afrika als Zahlungsmittel verwendet.
Ich glaube, Dein Gesicht zu sehen, wie Du lachst über den Unsinn, den ich Dir aus Innerdeutschland erzähle.
Aber, großer König, eines muss ich Dir jetzt immer wieder sagen: Die Eingeborenen des Landes empfinden diesen und noch viel größeren Unsinn als etwas Selbstverständliches, und sie sind so sehr daran gewöhnt, dass sie erschrecken würden, wenn es anders wäre.
Ja, wenn ich ihnen sage (ich spreche die Eingeborenensprache schon ganz gut), dass wir in Kitara mit anderer Münze zahlen, dann sagen sie, was sie hätten, sei besser, und fragen, ob sie kommen sollten und Dir das Bessere bringen. Sie nennen alles, was sie bringen wollen, mit einem Worte „Kultur“. Da aber niemand etwas Besseres bringen kann, als er hat, und da mir das, was diese „Menschen“ (so nennen sie sich in vollem Ernst) haben, nicht gefällt, so antworte ich jedes Mal, Du ließest „bestens danken“. Das ist nämlich der Ausdruck, den sie verwenden, wenn sie sagen wollen, was in unserer Sprache heißt: „Nein, ich will nicht!“
Herr der Berge, Du zürnst mir vielleicht, weil ich die hundert schnellfüßigen Boten und ihre hundert Briefbegleiter im Walde von Bukome, an der Grenze Deines Reiches zurückließ. Dass musste ich tun, wenn ich überhaupt weite Länder und Meere durcheilen und in dieses Land kommen wollte. Ich musste von dem Plan absehen, für jeden Brief, den ich Dir schreibe, einen Boten und einen Briefbegleiter mitzunehmen. Denn man hält es hier ganz anders mit Briefen als in Deinem Lande.
Bei Dir gilt es als Gesetz, das jeder kennt: Es darf nur ein Brief an einem Tage in Deiner Stadt eintreffen. Diesen bringt ein Bote, und ein anderer begleitet ihn, denn einer alleine kann nicht Briefbote sein. Wenn die beiden den Ruhiga überschritten haben, dann eilt ihnen die Kunde des Kommens voraus, und man weiß es bald darauf in Deiner Residenz. Und wenn sie endlich, nach Tagen, über den Hochpass von Kibata hinabkommen, dann folgt ihnen eine vielköpfige Schar hochgewachsener Jünglinge, und die Trommler und Bläser ziehen den Abhang vor Kabares Hof hinab, ihnen entgegen.
Was bedeutet dagegen in diesem Lande ein Brief? Nichts! Und das darf uns nicht wundernehmen; denn in Deutschland gibt es Briefe, so viele wie Gras auf den Viehweiden von Mpororo. Ein einziger Bote trägt hundert Briefe auf einmal, ja jeder einzelne Mann darf Briefe bekommen, und mancher bekommt viele auf einmal.
Ich sehe selten, dass jemand durch das Lesen all der Briefe zufriedener werde oder schlechter gestimmt. Und wenn er über den einen Brief traurig wird, so greift er schnell zum nächsten, über den er froh wird, und wenn er alle Briefe fertig gelesen hat, dann weiß er nicht, ob er froh oder traurig sein soll. Nur müder ist er geworden. Und unlustiger, den Acker zu hacken, das Vieh zu hüten. Wenn er überhaupt Acker und Vieh zu verwalten hat.
Du siehst schon, es ist unglücklich, dieses Volk, doch lass mich heute nicht nach den Ursachen fragen. Ich will Dir auch in den nächsten Briefen nur schildern, was ich sehe, und will erst viel später meine Schlüsse ziehen. Noch vieles habe ich Dir zu schreiben.
Riangombe, der über dem Feuerberge wohnt und mit Schnee seine Füße kühlt, schütze Dich und mich,
Deinen Diener Lukanga Mukara.
Spende per Banküberweisung an
mehr wissen, besser leben e.V.
GLS Gemeinschaftsbank
IBAN: DE56 4306 0967 1248 8816 00
Verwendungszweck: „Spende“